27.10.2010

Der überzeichnete Gainsbourg

http://www.mediapart.fr/files/Dominique%20Bry/gainsbourg_Detouree2.jpg
Sfar zeichnet Gainsbourg
Wenn mich ein Film länger als zwei Tage stark beschäftigt, sollte er auch hier Erwähnung finden. Der Film "Gainsbourg" von Joann Sfar ist kein herkömmliches Biopic über den französischen Sänger, Regisseur und Lebenskünstler Serge Gainsbourg, sondern eine kunstvolle Hommage an einen  exzentrischen Ausnahmekünstler und zeigt sich oft als ein Märchen. Sfar macht sich also gar nicht erst die Mühe, einen fundiert recherchierten Film abzuliefern und man entdeckt  viele stilistische Bezüge zu seiner Arbeit als Comiczeichner. Nur soviel ist sicher: der Mensch Gainsbourg hatte drei Leidenschaften: die Gitanes, die Musik und die Frauen. Und allen drei ist er bis zu seinem Tod 1991 treu geblieben ist und darum geht es im Film "Gainsbourg - Der Mann der die Frauen liebte" - ein unnötiger Zusatz des deutschen  Filmverleihs und eigentlich Titel eines Films von Francios Truffaut aus dem Jahr 1977.

http://3.bp.blogspot.com/_kT7uQmtee4M/S0IzZfjxtGI/AAAAAAAADj0/Qo_iZZ7zBCE/s400/18975_243309880944_217580730944_3348333_6321520_n.jpg
Kacey Mottet Klein spielt den jungen Lucien Ginsburg
Serge Gainsbourg, als Lucien Ginsburg 1928 in Paris als Kind russisch-jüdischer Einwanderer geboren, setzt sich zeitlebens mit seiner jüdischen Identität, seinen Selbstzweifeln und der Suche nach seiner künstlerischen Berufung auseinander. Gainsbourg, der schon als Kind glaubte, ein berühmter Maler zu werden, war ein Leben lang damit beschäftigt, seinen künstlerischen Ausdruck zu finden. Er prägte mit seiner Musik die lebenshungrige, die freie Liebe und bewusstseinserweiternde Drogen entdeckende Generation der 60er Jahre und  gilt als Erfinder des lasziven und sexuell anspielungsreichen Popchansons. Der französiche Comiczeichner Sfar (u.a. bekannt geworden durch die Comicserie "Die Katze des Rabbiners") findet dafür in seinem ersten Film passende Bilder und spickt ihn mit vielen surrealen Einfällen.   

Eric Elmosnino als Gainsbourg

Schauspieler Eric Elmosnino spielt mit einer beachtlich guten Leistung den erwachsenen Gainsbourg, der an sich selbst zerbricht und auch die Liebe der Frauen können ihn vor dem körperlichen und seelischen Zerfall nicht retten. Allgegenwärtig im Film ist die "Gitanes", die in Frankreich sehr populäre Zigarettenmarke mit der tanzenden Zigeunerin auf der blauen Packung, sie begleitet Gainsbourg als eine der wichtigsten Nebendarstellerinnen im Film. Dazu kommen noch Anna Mouglalis, die Juliette Greco geheimnisvoll verwegen und  dunkel-verführerisch spielt, Laetitia Casta, die  als Brigitte Bardot bezaubernd verführerisch sexy, aber nicht umwerfend ist und Lucy Gordon (nahm sich 2009 das Leben) als Jane Birkin, die sich nervös, oft besorgt um Gainsbourg und mit vielen sehr kurzen Kleidern als Stilikone der 60er Jahre zeigt. Alle drei Frauen werden, natürlich immer in Beziehung zu Gainsbourg, auch von ihrer tragischen und melancholischen Seite gezeigt. Doug Jones, bekannt aus "Pans Labyrinth" und "Hellboy", spielt La Gueule (die Fresse) - das Gainsbourg zeitlebens begleitende selbstzweifende Alter Ego - seine innere Stimme der Unzulänglichkeit. Ausserdem einen kleinen Gastauftritt kurz vor seinem Tod hat Claude Chabrol, der als grummeliger Musikproduzent zu sehen ist.

Fazit: Joann Sfar hat über das Enfant terrible des 20. Jahrhunderts einen sehenswerten Film mit surrealen Einfällen und atmosphärischen Bildern geschaffen. Ich empfehle, unbefangen in den Film zu gehen und sich nicht vorher den Trailer zum Film anzusehen, sondern eher die Biografie von Serge Gainsbourg zu lesen. 


Histoire de Melody Nelson [Eco
Gainsbourg und die Frauen
Um sich von den musikalischen Qualitäten von Gainsbourg selbst zu überzeugen, sei noch das sehr hörenswerte Album "Histoire de Melody Nelson" von 1971 erwähnt. Ich habe es zum ersten Mal gehört, kannte ich doch nur die populären Stücke ("Je t'aime moi non plus", "Bonnie & Clyde") von Gainsbourg. Auf dem Album-Cover posiert Jane Birkin, die eine kleine Gainsbourg-Puppe fest an ihren nackten Oberkörper drückt. Dieses Foto bringt das Verhältnis von Gainsbourg und den Frauen sehr gut auf den Punkt.

Klicktipp zum Hintergrund: Vom Comic zum Film

18.10.2010

Wenn Pop schmerzt

Die 80er-Jahre sind zurückgekehrt. Nein, Freddie Krueger meine ich jetzt nicht, sondern eher  musikalisch mit Theo Hutchcraft und Adam Anderson alias Hurts. Ich habe lange mit mir gerungen, hier etwas über Hurts zu schreiben. Denn eigentlich wurde auch schon alles gesagt und geschrieben über die beiden Synthiepopper aus Manchester. Es gab viel überschwängliches Lob für ihre perfekten Melodien und ihr cooles Auftreten, aber eben auch heftige Kritik gegen diese Musik vom Reissbrett, denn das, was einem auf der Debüt-Platte "Happiness" geboten wird, hat man schon  alles mal woanders gehört und das deutlich früher (jedenfalls wenn  man  über 30 Jahre alt ist). Schon vor Monaten  (in 2009!) wurden die beiden Popschnösel, die sich zu Hurts zusammenfanden, als sogenannter „Geheimtipp“ gehandelt. Daran merkt der aufmerksame Musikfreund wohl, dass die Vermarktungsarmee bereits ihren Feldzug in die Ohren und Herzen der geneigten Hörerschaft begonnen hat. Und gerade in Deutschland hat Hurts eine der größten Fangemeinden in Europa (gibt es hier nicht auch die meisten Depeche Mode Fans auf der Welt?). Mein Widerstreben gegen diese Band  bringe ich mal so auf den Punkt: besessen auf Erfolg bemüht, musikalisch zu glatt und textlich zu pathetisch und gänzlich ironiefrei - Synthiepop aus der Retorte eben. Anderseits haben Hurts mit "Wonderfull Life" auch bei mir direkt ins Schwarze getroffen. Ja, der Song  gefällt mir, dieser ist einfach genial produziert und lässt sich immer wieder anhören. Das gilt allerdings nicht für alles auf der Platte, deren Songs doch zu sehr durchgestylt rüberkommen, ähnlich den beiden auf dem Cover abgebildeten Jungs, in ihren grauen Anzügen und mit den zurückgegelten Haaren. 
So, nun ist es raus - manchmal muss man sich einfach mal etwas von der Seele schreiben ;-)
Klicktipp: Albumkritik Hurts - "Happiness" auf X&M.
Beispielhaftes Lob für "Happiness" gibs hier und der Intro-Titel "Popperschweine" vom September 2010 sei auch noch erwähnt.

13.10.2010

Britpop Delight

Noch erwähnt werden sollte die aktuelle CD "Familial" von Radiohead-Schlagzeuger Philip Selway - wundervolles, herzerweiterndes und subtiles Singersongwriting an der Akustikklampfe: 

Sowie neues, nicht weniger ohrenschmeilchendes, Indie-Soundmaterial von Belle & Sebastian aus Glasgow, deren letzte Veröffentlichung schon lang, lang her ist (4 Jahre)! und deshalb um so sehnlicher erwartet wurde.

DeutschPopRock aus N.Y. an der Seine

Die Deutsch-Pop-Rock (der ja oft als softig und unbekümmert-ereignisarm kritisiert wird) -affinen The Hundred in the Hands performen in einem pariser Strassencafe ihren Song "Pingeon". Ach, Paris! "I don’t know why, you don’t just fly away, Away, away, away"

 

Im offiziellen Pingeon-Musikvideo sehen wir die Protagonistin beim Feiern am Wochenende effektvoll abstürzen, wahrscheinlich nach dem Genuss einer Firework-Droge!

Auch sehr schön: Chikita Violenta aus Mexiko geben ein kleines Akustik-Hofkonzert und musizieren beschwingt mit echten Mariachis.

Banksy kommt!

Yo, und zwar ins Kino. Mit dem Film "Exit Through the Gift Shop", der in der kommenden Woche startet. Das wird für mich als manisch-bekennender Street Art Fan DIE (Kunst-)Film-Offenbahrung des Jahres. Der britische Graffiti-Künstler Banksy macht aber zur  Zeit auch anderweitig Schlagzeilen. Er hat für die sehr erfolgreiche TV-Fernsehserie The Simpsons das Intro einer Folge kreativ bearbeitet und übt, ganz banksylike, bitterböse Kritik an den Arbeitsbedingungen der Arbeiter, die die Serie quasi am Fliesband herstellen - ein Grossteil der Serie wird kostengünstig in Südkorea produziert und auch die Merchandisingartikel kommen aus dem Billiglohnland China. Die Produktionsfirma Fox hat sich vom Clip inzwischen distanziert. Bravo, Banksy!